Sunday 26 June 2011

Die Schlägertruppen des syrischen Regimes

DIE WELTAutor: Gabriela M. Keller
24.06.2011
http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article13447630/Die-Schlaegertruppen-des-syrischen-Regimes.html?fb_ref=artikelende&fb_source=profile_oneline
Im Kampf gegen die Proteste stützt sich Baschar al-Assad auf eine geheimnisvolle Miliz. Vorbild sind die iranischen Revolutionswächter

Die Schabiha-Miliz überfiel ein Studentenwohnheim in Damaskus. Ein Opfer starb, 50 liegen im Krankenhaus.
Sie kamen spät in der Nacht, bewaffnet mit Kalaschnikows und Messern. Zu Dutzenden drangen sie in das Studentenwohnheim der Universität Damaskus ein. "Sie stürmten den Block, in dem die Jungs wohnen, und ebenso den Block der Mädchen gegenüber", erzählt Ziad, ein Student, der in einem benachbarten Gebäude lebt. "Sie schlugen alles in Stücke, was ihnen in den Weg kam: Türen, Fenster, Möbel und Computer. Sie warfen Lärmgranaten und Rauchbomben, ein Zimmer fing Feuer. Dann zerrten sie die Studenten aus ihren Zimmern und prügelten mit Stöcken auf sie ein." Wer die Angreifer waren? Geister, sagt Ziad, es waren Geister. Schabiha. Es ist ein Wort, das seit Monaten Angst und Schrecken in Syrien verbreitet.

Schabiha, so nennen die Einheimischen eine Miliz, die im Dienste des Regimes agiert. Der Geheimdienst hat den Angriff auf das Wohnheim offenbar nur beobachtet und überwacht. Die Ausführung überließen sie den Schabiha. Nach Informationen der Menschenrechtsorganisation Avaaz, die über ein Netzwerk von Kontakten in Syrien verfügt, wurden dabei 50 Studenten verletzt, einer soll aus einem Fenster im vierten Stock gestoßen worden sein. Mindestens einer starb, einer ist in kritischem Zustand, ein weiterer im Koma. Der Rest liegt mit gebrochenen Knochen und Verbrennungen im Krankenhaus.

Wie Präsident Baschar al-Assad zählen die Schabiha überwiegend zur alawitischen Minderheit. Die meisten stammen aus der Bergregion rund um die Küstenstadt Lattakia. Sie gelten als absolut loyal und empfangen ihre Befehle nach Einschätzung von Beobachtern direkt von Mitgliedern des Assad-Clans. Lange hatten die Syrer nichts mehr von ihnen gehört. Die Schabiha tauchten zuerst in den 70er-Jahren auf. Der ehemaliger Präsident Hafis al-Assad nutzte die Milizionäre als eine Art persönliche Vollstrecker. In den 90er-Jahren machten sie vor allem mit Schutzgelderpressungen in Lattakia von sich reden. Seit der Amtsübernahme seines Sohnes Baschar vor elf Jahren war es still um sie geworden. Viele Menschen nahmen daher an, das Regime habe die Miliz aufgelöst. Doch nun, seit dem Ausbruch der Proteste vor über drei Monaten, tauchen sie plötzlich überall wieder auf.

Ihr Auftreten erinnert an die Bassidsch im Iran, eine paramilitärische Einheit, die bei der Niederschlagung der Demonstrationen nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl 2009 eine Schlüsselrolle spielte. Die Bassidsch waren auch an einem Angriff auf ein Studentenwohnheim in Teheran beteiligt, der deutliche Parallelen zu dem Vorfall in Damaskus aufzeigt. Seit Wochen häufen sich Hinweise, dass der Iran dem syrischen Regime im Kampf gegen die Protestbewegung Hilfestellung leistet. Deshalb hat die EU ihre gerade gegen Syrien beschlossenen Sanktionen auch auf iranische Funktionäre ausgedehnt. Auch andere arabische Diktatoren, so Husni Mubarak in Ägypten und Muammar al-Gaddafi in Libyen, haben sich während der Unruhen auf die Dienste privater Schlägertrupps gestützt.

"Die Schabiha sind eine Todesschwadron, eine Einheit, die keinem Gesetz verpflichtet ist", sagt der syrische Menschenrechtler Wissam Tarif. "Sie rücken immer dort ein, wo die Demonstrationen sich ausweiten, und terrorisieren die Menschen." Der Überfall auf das Wohnheim folgte auf einen Protest am Nachmittag: Mehrere Hundert Studenten hatten gegen die Festnahme einiger Kommilitoninnen demonstriert. "Es handelte sich ganz klar um eine Strafaktion", meint Tarif. Seit Kurzem verdichten sich die Hinweise, dass die Schabiha immer vehementer auftreten. Am Dienstag sollen sie in Lattakia sogar eigene Checkpoints errichtet haben. Aktivisten fürchten, dass die Miliz zunehmend auf eigene Faust agiert.

Die Schabiha sind eine undurchsichtige Truppe, um die sich viele Gerüchte ranken. Experten zufolge kontrollieren sie einen Teil des Hafens von Lattakia. Auch an Schmuggel und Drogenhandel sollen sie beteiligt sein. Außerdem berichten Anwohner der Protesthochburgen seit Monaten, dass Schabiha ihre Häuser plündern. "Sie wissen, dass das Regime ihnen grünes Licht gegeben hat, zu tun, was sie wollen", sagt Wissam Tarif. Im Internet sind Videos zu sehen, die zeigen, wie schwarz gekleidete Männer durch die Straßen der Städte ziehen. Sie schlagen mit Knüppeln gegen Plastikschilde und rufen: "Unsere Seelen und unser Blut geben wir für dich, oh Baschar."

Sie tragen keine Uniformen, dennoch sind sie leicht zu erkennen, sagt Ali, ein junger Demonstrant aus einer Kleinstadt in der Grenzregion nahe Damaskus. "Wir kennen diese Burschen gut, da sie früher von hier aus den Waffenschmuggel aus dem Libanon organisierten. Jetzt strömen jeden Freitag, wenn Proteste anstehen, Hunderte von ihnen in unsere Stadt. Sie sind groß und breit wie Tiere und tragen das Gesicht von Baschar al-Assad auf ihre Arme tätowiert."

Sobald sich die Oppositionellen sammeln, beziehen die Scharfschützen der Schabiha Position auf den Dächern. Andere von ihnen greifen sich einzelne Demonstranten heraus und schlagen sie zusammen. "Manchmal wimmelt es hier von Schabiha", sagt Ali. "Ich habe keine Ahnung, wo die alle herkommen."

Location:Germany

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